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Ursachen für Stress bei Führungskräften

Eine Studie

Da viele Führungskräfte unter Stress leiden und die Ursachen dafür häufig in Problemen finden, die mit ihrem Team zu tun haben, machten wir uns auf die Spurensuche. Wir wollten herausfinden, ob es ein bestimmtes Führungsverhalten gibt, was dieses Phänomen begründet.

Da wir schon vor der Jahrtausendwende auf diese Frage eine Antwort suchten, ist aus unserer Neugier mittlerweile eine Langzeitstudie geworden. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen haben wir in einem Zeitraum von mittlerweile über 20 Jahren fast 5000 Führungskräfte nach ihrer Position im Team befragt. Wir haben mit unserer ersten Befragung im Jahr 1998 begonnen und diese bis 2018 durchgeführt. Kurz vor der Corona-Pandemie haben wir die Befragung wieder aufgenommen und sie bis Ende 2022 durchgeführt.


Wir dachten, dass die Ergebnisse sich pandemiebedingt verändern, doch diese Annahme stellte sich als falsch heraus.



Wie sind wir vorgegangen?

In jedem Workshop, Coaching oder Seminar zum Thema Leadership stellten wir dieselbe Frage. Dazu zeichneten wir einen Kreis, der die Mitarbeitenden in der direkten Führungsverantwortung beschrieb. Dann fragten wir, an welcher Stelle des Kreises sich die Führungskraft in ihrer täglichen Arbeit positioniert. Das Ergebnis ist seit Beginn unserer Langzeitbefragung identisch. Wo sich die Führungskräfte innerhalb ihres Teams in der Regel verorten, sehen Sie in der folgenden Abbildung:

Die überwiegende Mehrzahl der Führungskräfte sieht sich selbst als Mittelpunkt ihres Systems. Da es in unserem Modell keine richtige oder falsche Position gibt, sondern wir diese von den jeweiligen Rahmenbedingungen, also vom Kontext abhängig machen, betrachteten wir die Wirksamkeit, die psychische Belastung und die Glaubenssätze von Führungskräften in den unterschiedlichen Positionen und in unterschiedlichen Kontexten näher.



1. Die Führungskraft im Mittelpunkt des Systems

Was bedeutet diese Position für die Führungskraft und die Mitarbeitenden? Den Mittelpunkt im System darzustellen ist für die Führungskraft ressourcenaufwendig, da sie sich für nahezu alle Belange zur Verfügung stellt und daher unter einer massiven Doppelbelastung steht.


Führungskräfte, die diese Position bevorzugen, führen häufig autoritär oder nutzen den Laissez-Faire-Führungsstil, womit sie sich als „Primus inter Pares“ positionieren. Diese Position ist auch ein Hinweis auf ein starkes Kontrollbedürfnis der Führungskraft, das gleichzeitig auch ein Misstrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden ausdrückt. Die Motivation der Mitarbeitenden, im Team eine tragende Rolle und Verantwortung zu übernehmen, wird nicht gefördert. In dieser Konstellation leidet auch die Selbstwirksamkeit der Mitglieder im Team, da sie sich zu wenig in den aktiven Gestaltungsprozess ihrer Aufgaben einbringen können. In „normalen“ Zeiten ist diese Position im Team hinderlich, da sie die Weiterentwicklung des Einzelnen verhindert.


Die Führungskraft wird in dieser Position schnell zum „Vorarbeiter und Kontrollinstanz“ statt zum Förderer der Kompetenzen des Teams. Wenn diese Position vom Team eingefordert wird, könnte dies ein Anzeichen dafür sein, dass die Mitglieder des Teams zu wenig Autonomie bei Entscheidungen oder eine zu geringe Qualifikation besitzen. Andererseits ist es für viele Mitglieder des Teams bequem, wenn die Führungskraft als zentraler Fixstern im Universum immer am hellsten leuchtet.


Wann aber braucht das Team die Führungskraft als Mittelpunkt ihres Systems? In Krisen! Denn unabhängig von deren Ursachen, bedeuten sie immer Unsicherheit und Stress. In dieser Zeit braucht es die Führungskraft in der zentralen Position des Teams. Ihre wichtigste Aufgabe in solchen Phasen ist, für Orientierung, Stabilität und Sicherheit zu sorgen. Führungskräfte, die kontinuierlich im Mittelpunkt ihres Teams stehen, sind in dieser Situation meist restlos überfordert. Zu hoch werden die Anforderungen, wenn neben dem Tagesgeschäft auch noch Krisenmanagement betrieben werden muss.


Die Gefahr einer Überlastung ist hier sehr hoch und daher ist es wichtig, der Führungskraft entsprechende Fähigkeiten und Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit sie diese Zeit ohne Schaden übersteht. Wenn die Führungskraft in einer Krise krankheitsbedingt ausfällt, gerät ein Team, das gewohnt ist, einen Fixstern in ihrem Universum zu haben, in ein Dilemma. Da der Druck nun direkt auf die Mitarbeitenden wirkt und dort zu wenig Erfahrung vorhanden ist, mit der Situation umzugehen, sind weiteren Ausfälle vorherzusehen, was die Situation verschlimmert. Doch nicht nur die Führungskraft braucht in dieser Zeit Unterstützung, auch die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden muss durch gezielte Interventionen erhalten werden.



2. Die Führungskraft an der Schnittstelle des Systems

Nur ganze 5 Prozent der befragten Führungskräfte sehen sich selbst an der Schnittstelle zum Team. Um einen Vergleich der Auswirkungen der unterschiedlichen Positionen im Team zu erhalten, haben wir einen standardisierten Fragebogen entwickelt und ihn nach Unternehmensgröße, Branche und Umsatz geclustert. Dieser wurde sowohl an eine Auswahl der Führungskräfte verteilt, die sich selbst in der Mitte des Teams positionierten, als auch an diejenigen, die sich an der Schnittstelle befinden. Ziel dieses Fragebogens war es, unterschiedliche Parameter in Bezug auf die Produktivität, Arbeitszufriedenheit, Stressempfinden, Krankenstände und Fluktuation zu ermitteln.


Wir fragten auch nach dem Führungsstil und der Unternehmenskultur, die durch einen freien Text beschrieben werden sollte. Das Ergebnis wird Sie nicht verwundern. Die Führungskräfte, die sich an der Schnittstelle des Teams befanden, haben in allen befragten Parametern besser abgeschnitten. Zwar hat unsere Befragung nicht den repräsentativen Charakter einer wissenschaftlichen Studie und ist als solche auch nicht veröffentlicht worden, aber sie zeigte uns eindeutige Tendenzen bezüglich der Auswirkungen der Positionierung einer Führungskraft. Interessant war, dass die meisten Führungskräfte, unabhängig von ihrer Position im Team, ihren Führungsstil als kooperativ beschrieben.


Sie bezogen ihr Team in Entscheidungsprozesse ein und delegierten Entscheidungen an die Mitarbeitenden, von denen sie wussten, dass sie die Kompetenz besitzen. Transparenz wurde durch kontinuierliche Kommunikation sichergestellt.


Unsere Erkenntnisse aus unserer Befragung sind eindeutig. In stabilen Zeiten ist die Positionierung der Führungskraft an der Schnittstelle des Teams ideal für beide Seiten. Die Mitarbeitenden werden mit genügend Autonomie ausgestattet, um selbst für die Lösung von Problemen zu sorgen und gleichzeitig wird die fachliche Kompetenz gestärkt, da produktives Scheitern als Teil des Lösungsprozesses anerkannt und nicht sanktioniert wird. Das Team kann sich also selbst weiterentwickeln und benötigt die Führungskraft nur im Krisenfall. Voraussetzung ist, regelmäßige Kommunikation, eine Feedback- bzw. Feedforward-Kultur und eine Haltung, die eigene Stärken nicht mit den Schwächen der anderen vergleicht.


Die daraus resultierende wertschätzende Haltung, fördert die Motivation aller Mitglieder des Teams. Die Vorteile dieser Position für die Führungskraft sind eindeutig. Sie wird nicht vom operativen Geschäft vereinnahmt und kann sich auf Führungsaufgaben fokussieren. Aus dieser Position heraus ist es auch einfacher die Mitglieder des Teams zu beurteilen und zu fördern.


Bei der Befragung nach dem individuellen Stresslevel, dem die Führungskräfte ausgesetzt sind, haben wir eine Skalierungsfrage genutzt. Sie reichte von 0 = kein Stress bis 7 = sehr hohe Stressbelastung. Die Führungskräfte, die sich selbst in der Mitte des Teams verortet haben, kamen auf einen Mittelwert von 5,7 Punkte. Der Mittelwert der Führungskräfte an der Schnittstelle betrug 3,4 Punkte und zeigte somit ein deutlich niedrigeres Stressempfinden. Als Fazit können wir feststellen, dass auch in Bezug auf die psychische Gesundheit, die Position an der Schnittstelle des Teams für Führungskräfte von Vorteil ist.


Wenn wir die Ergebnisse unserer Langzeitbefragung unter dem Aspekt des psychischen Wohlbefindens der Mitarbeitenden betrachten, stellen wir fest, dass diese Position der Führungskraft auch für die Mitarbeitenden Sinn macht. Stichproben haben gezeigt, dass das Stressempfinden der Mitarbeitenden, deren Führungskräfte sich am Rand des Systems positionierten, ebenfalls geringer war.



3. Die Führungskraft außerhalb des Systems

Was würde passieren, wenn ein Team plötzlich ohne Führungskraft seine Arbeit verrichten muss? Wir kennen viele Modelle des agilen Arbeitens, in der Teams auch ohne formelle Führung ihre Ziele erreichen.


Wir haben aber auch festgestellt, dass bei schwierigen Herausforderungen eine Führungskraft notwendig ist, um Klarheit zu schaffen und Entscheidungen zu treffen. Das demokratische Prinzip in Organisationen führt selten zu brauchbaren Lösungen, da die Bedenkenträger meist die Mehrheit bilden. Gerade wenn unter Zeitdruck Entscheidungen getroffen werden müssen, erhöht sich mit der Anzahl der Beteiligten an diesem Prozess auch der Stresspegel für diejenigen, die letztendlich für die Entscheidung die Verantwortung übernehmen.


Auch das Konzept des „Shared Leadership“ ist unter diesen Voraussetzungen kritisch zu betrachten. Natürlich stellt sich die Frage, wie sich in Zeiten der Digitalisierung und der damit orts- und zeitunabhängigen Möglichkeiten seiner Arbeit nachzugehen, die Führung diesen Gegebenheiten anpassen muss. Der zentrale Aspekt der Führung hat sich aus meiner Perspektive dadurch nicht verändert, lediglich die Kommunikationskanäle sind digitaler geworden. Während der Corona-Krise stellten wir mehrere Phänomene fest, die uns zeigten, dass es keine allgemeingültige Regel für Remote Leadership gibt.


Erfolgreiche Führungskräfte waren in dieser Zeit nicht außerhalb des Teams, sondern bildeten den zentralen Mittelpunkt. Sie sorgten dafür, dass die Mitarbeitenden auch im Home-Office über alle unternehmensinternen Vorgänge informiert blieben und das Gefühl hatten, sich in ihrer Organisation sicher zu fühlen. Die informellen Gespräche, die während der Mittagspause oder in der Kaffeepause stattfanden, wurden ins Internet verlegt und auch alle Möglichkeiten, die Interaktion mit dem Team zu fördern wurden genutzt.


Führung außerhalb des Teams ist daher nur begrenzt und in herausfordernden Zeiten nicht möglich. Daher bleibt die Position außerhalb des Teams den Urlaubs-, Messe- und Weiterbildungszeiten vorbehalten. Sollten Sie sich fragen, in welchen Organisationen die zwei Prozent der Führungskräfte arbeiteten, die sich außerhalb ihrer Teams befanden, so waren das meist Start-ups, die sich mit der Entwicklung von Software oder digitalen Plattformen beschäftigten. Die Größe dieser Unternehmen war überschaubar und keines davon hatte mehr als 20 Festangestellte.


Wir können zum Abschluss feststellen, dass sich jeder Führungsstil als sinnvoll erweisen kann, wenn die Führungskraft sich ihrer Position im Team bewusst ist und aus dieser heraus ihre Führungsarbeit ableitet. Da der Kontext der relevante Faktor für das Verhalten von Führungskräften sein sollte, ist mehr oder weniger jeder Führungsstil praktikabel.



Fazit:

Die Führungskraft als zentraler Mittelpunkt des Systems ist in Krisenzeiten gefragt. Als zentraler und dauerhafter Fixstern im Universum droht die Führungskraft aber in dieser Situation zu verbrennen. Für ein möglichst stressfreies Arbeiten, das für das psychische Wohlbefinden sowohl der Führungskraft als auch für die Mitarbeitenden förderlich ist, hat sich die Positionierung an der Schnittstelle als wirkungsvoll erwiesen. Diese Position benötigt kompetente Mitarbeitende, ein gewisses Maß an Autonomie und entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten zur Selbstregulation des Teams.


Voraussetzung um als Führungskraft in dieser Position zu agieren ist zum einen das Wissen um die Fähigkeiten der Mitarbeitenden als auch das Vertrauen in Ihre sozialen Kompetenzen. Außerhalb des Teams zu agieren ist nur zeitlich begrenzt möglich, da jedes Team früher oder später einen externen Impuls bzw. Feedback benötigt.



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